Isabelle Huppert entdeckt als normannische Landwirtin Brigitte die Liebe wieder
Ein besonderer Glanz fiel auf das 32. Münchner Filmfest durch die Anwesenheit von Isabelle Huppert. Die französische Filmlegende spielt die Hauptrolle in „La Ritournelle“, dem neuen Films von Regisseur Marc Fitoussi. Zur deutschen Premiere erhielt Huppert, die zum ersten Mal der Einladung nach München gefolgt war, im restlos ausverkauften Sendlinger Tor Kino den CineMerit Award. Die Laudatio hielt Mathieu Carrière. Der deutsche Schauspieler hatte 1991 an der Seite von Huppert in der Bachmann-Verfilmung „Malina“ gespielt. Damals hätten ihn die Kaltblütigkeit und der Mut der Preisträgerin tief beeindruckt, sagte Carrière. Er würdigte Hupperts Kunst nichts zu tun. „Sie macht nichts, außer den Boden zu bohnern, damit wir darauf ausgleiten und in den Abgrund ihrer Figuren stürzen“.
„La Ritournelle“, ihr neuer Film, handelt von den Freiräumen, die der Mensch braucht um seine Würde zu bewahren, von den Irritationen, die entstehen wo er sie sucht, sowie von der Macht der Liebe, diese wieder zu heilen. Das Thema wird verhandelt anhand einer Episode aus dem Leben des Ehepaares Xavier (Jean-Pierre Darroussin) und Brigitte (Isabelle Huppert). Gemeinsam managen beide einen modernen Zuchtbetrieb für Charolais-Bullen in der Normandie. Als im Nachbarhaus einige junge Pariser eine Party feiern, lernt Brigitte einen jungen Mann kennen. Unter dem Vorwand eines Arztbesuches entflieht sie für drei Tage der Enge ihres ländlichen Alltags und besucht den jungen Mann in Paris.
Mit dieser Geschichte dreht Regisseur Fitoussi ein gängiges Muster um: Statt des gestressten Stadtmenschen, der auf einer Landpartie ein romantisches Abenteuer erlebt, inszeniert er das kurzeAbenteuer einer reifen Frau, die für zwei Nächte ihrem prosaischen Alltag auf dem Land entflieht.
Brigitte teilt die Sorgen ihres Mannes um das liebe Vieh und packt bei der Landarbeit mit an. Doch weder die prächtigen Bullen, noch das saftige Grün der Weide können darüber hinwegtäuschen, dass in ihrem Leben etwas abhanden gekommen ist. Huppert muss nicht viel tun damit der Zuschauer die Sehnsucht Brigittes nach etwas Poesie begreift. Allein wie sie bei der Arbeit auf der Weide ihre Pelzmütze trägt, lässt sie wirken, wie aus der Welt gefallen. Wunderbar der Moment, als ihr beim Einkaufen im Supermarkt ein Lied aus der Berieselungsanlage auffällt. Vergeblich versucht sie beim Personal den Titel zu erfahren. Es handelt sich um den Retro-Disko-Hit „One out of Two“ von Breakbot.
Im Mittelpunkt des Films steht die Liebe zwischen dem Ehepaar Brigitte und Xavier. Denn nur auf den ersten Blick dreht sich „La Ritournelle“ um den Ausbruch einer reifen Frau aus der der Banalität des Land- und Ehelebens. Genauer gesehen geht es um die Liebe. Eine wichtige Rolle bei der Inszenierung diese Liebe spielt die Inszenierung von Oberflächen, ihren Texturen und Irritationen. Dabei ist es, als folgte Regisseur Marc Fitoussi dem Romancier Michelle Tournier, der einst schrieb: „Man mißt ein Gefühl wie die Liebe weit besser … nach der Bedeutung ihrer Oberfläche als nach ihrem Tiefegrad.“
Die Eingangssequenz zeigt Brigitte und Xavier Ben Hur striegeln, – so heißt der Bulle, den das Züchterehepaar in den nationalen Wettbewerb schickt. Immer wieder pflügt der Striegel über das blonde Fell des Tieres um die widerspenstigen Haare zu glätten. Brigitte schlägt vor, das Tier zusätzlich mit einer zierlichen Krone zu schmücken, doch Xavier ist dagegen. Stattdessen erhält sie den Auftrag, beim Wettbewerb Fotos von Ben Hur mit seinem stolzen Besitzer zu machen. Als Ben Hur den ersten Preis gewinnt, setzt sich Brigitte die mitgebrachte Krone kurzerhand selbst auf. Die Fotos, dies sie geschossen hat, so stellt sich später zum großen Ärger von Xavier heraus, sind alle verwackelt. Derartige Texturen und Oberflächenstrukturen spielen in diesem Film eine wichtige Rolle. Indem die Kamera an ihnen entlanggleitet wird ein vielschichtiges Geflecht von Gefühlen, Wünschen und Gedanken dargestellt, das die Beiden noch dort aneinander bindet, wo sie sich voneinander abstoßen.
Schon seit langem leidet Brigitte an einem Hautexzem an der Brust. Nach vielen vergeblichen Behandlungen scheint sie die Hoffnung auf Heilung aufgegeben zu haben. Aber Xavier drängt sie, einen Spezialisten in Paris aufzusuchen. Unterdessen geben einige junge Pariser, im Nachbarhaus eine Party. Stan (Pio Marmaï), einer der abendlichen Gäste, entflieht der Party und begegnet Brigitte, die vor der Tür eine Zigarette raucht. Der jugendliche Schönling zeigt sich vom stillen Charme Brigittes beeindruckt. In einem Anflug von Lebenslust entschließt die sich ihn auf die Party zu begleiten.
Sie lässt sich auf den Flirt mit Stan ein. Doch bevor es zum Äußersten kommt, macht sie sich wieder aus dem Staub und flüchtet sich ins Ehebett zu ihrem schlafenden Mann. Am nächsten Tag wird sie ihre Hauterkrankung als Vorwand benutzen, um nach Paris zu reisen. Dort jobbt Stan als Verkäufer bei American Apparel. Aber eine romantische Geschichte will zwischen beiden nicht in Gang kommen. Es waren ihre Wünsche, die Brigitte auf den jungen Mann projiziert hatte. Interessiert hatte sie sich auf der Party nach dem Buch von Italo Calvino erkundigt, das Stan in der Gesäßtasche mit sich trug. Als er bei ihrem Wiedersehen in Paris den Buchdeckel benutzt um daraus Filter für einen Joint zu bauen, zerreißt auch Brigittes romantisches Bild von ihm. Doch Paris hält noch eine andere Begegnung für Brigitte bereit…
In einem Nebenstrang erzählt der Film von einer weiteren Flucht: Der erwachsene Sohn des Paares hat den elterlichen Betrieb verlassen um in Paris eine Ausbildung zum Zirkusakrobaten zu machen. Während Brigitte als treusorgende Mutter die Entscheidung ihres Sohnes verteidigt, hat sein Vater nur Spott für sie übrig. Als Xavier, seiner Ehefrau heimlich nach Paris folgt, beschließt er auch seinem Sohn einen Besuch abzustatten. An der Artistenschule wird er Zeuge eines Auftritts seines Sohnes am Trampolin. Eine ungeheuer bewegende Szene. Der äußerlich so raue Landwirt kann sich der Poesie der schwerelosen Pantomime ebenso wenig entziehen wie der Zuschauer im Kinosaal.
Obwohl Marc Fitoussi am 20. Juli erst seinen 40. Geburtstag feiert, strahlt sein neuer Film einen altersweisen Optimismus aus. Der Regisseur und Drehbuchautor hat für „La Ritournelle“ Bilder von spielerischer Leichtigkeit gefunden. Kongenial umgesetzt wurden sie von Agnès Godard als Kamerafrau. Die leicht tänzelnden, schimmernden Bilder sind vom gleichen klugen Humor durchzogen, der auch die Dialoge belebt. So kommt der La Ritournelle daher, wie ein sommerlicher Aperitif. Aber wer den Film für oberflächlich hält täuscht sich. Es handelt sich vielmehr um einen Film über Oberflächen. Die können widerspenstig sein wie das Fell der Charolais-Rinder, unscharf wie die Fotos, die Brigitte von Xavier und Ben Hur macht, entzündet wie Brigittes Brust, schillernd wie die Nächte von Paris oder spiegelnd glatt wie das Tote Meer, auf dessen Oberfläche wir das Paar am Ende des Films treiben sehen – in jedem Fall entziehen sie sich unserem vorschnellen Zugriff. Und indem wir von einer zur anderen übergehen, ändert sich der Sinn der Geschichte. Die hat im Film ein fünffaches Ende. Daher rührt wohl auch sein Titel, denn „Ritournelle“ bezeichnet im Französischen den Refrain, wie er zum Beispiel bei den Madrigalen der Renaissance vorkommt. Wie diese alte Form der Vokalmusik greift der Film sein Motiv immer wieder von neuem auf und spiegelt mit jedem Refrain das besungene Gefühl der Liebe auf einer anderen Oberfläche.
Weitere Informationen zum Film:
La ritournelle un film de Marc Fitoussi auf Facebook